Deutsche Bahn: Wenn der nächste Halt direkt zu einem Engpass führt

Stand: 16:42 Uhr Olaf Preuß Wirtschaftsreporter Wirtschaftsreporter Der Hamburger Hauptbahnhof hat die höchsten Fahrgastzahlen in Deutschland Quelle: picture alliance Frustrierte Fahrgäste, renitente Bürger, drängelnde Unternehmen: Die Deutsche Bahn muss ihre Infrastruktur bei vollem Betrieb ausbauen und widerstrebenden Ansprüchen gerecht werden. Damit das im Norden gelingt, werden jetzt neue Wege gesucht. Anzeige Anzeige

Es klingt so, als müsse die Bahn komplett neu erfunden und gebaut werden, wenn Frank Limprecht über seine Projekte berichtet. Und fast so ist es ja auch: Weil für die Deutsche Bahn im kommenden Jahrzehnt der „Deutschlandtakt“ gelten soll – eine wesentlich engere Taktung des Fernverkehrs und des damit verbundenen Nahverkehrs als heutzutage –, bleibt bis dahin kaum ein Stein auf dem anderen. Allein in den fünf Küstenländern sollen bis 2030 mindestens 30 Milliarden Euro öffentliche Mittel in den Ausbau der Schienen-Infrastruktur investiert werden. „In meinem Team bearbeiten etwa 850 Mitarbeiter derzeit etwa 1100 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 10.000 Euro bis zu zehn Milliarden Euro“, sagt Limprecht, Leiter Infrastrukturprojekte Norddeutschland bei DB Netz. „Davon arbeiten allein in Hamburg 500.“

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Deutlich mehr Menschen und mehr Güter mit der Bahn zu befördern, das ist das Ziel des „Deutschlandtaktes“, und es ist die einzige Möglichkeit, immer mehr Mobilität in Deutschland und Europa mit einem effektiven Klimaschutz in Einklang zu bringen. Der mehr oder weniger komplette Neubau der Bahn-Infrastruktur, der dafür nötig wird, ist eine gewaltige gesellschaftliche Aufgabe. „Zehn von 40 Bahnkorridoren in Deutschland, die generalsaniert werden müssen, liegen in Norddeutschland“, sagt Limprecht. Um diese Herausforderung in einem vertretbaren Rahmen bewältigen zu können, haben sich die norddeutschen Länder Bremen, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern mit der Deutschen Bahn Anfang 2022 zum „Bündnis Zukunft Schiene Nord“ zusammengeschlossen.

Frank Limprecht, Leiter Infrastrukturprojekte Norddeutschland bei DB Netz Quelle: DB

Dieser Tage trafen sich in Rostock-Warnemünde Mitglieder des Netzwerks aus Politik und Verwaltungen, um Fortschritte und Hindernisse bei aktuellen Projekten zu beraten. „Wir schauen länderübergreifend auf Projekte und Verkehrsachsen, um ein gemeinsames Bild zu bekommen und anschließend einen gemeinsamen Plan zu entwickeln“, sagt Limprecht und nennt ein Beispiel aus der Praxis. „Die Generalsanierung des Korridors Hamburg-Lübeck war ursprünglich für das Jahr 2028 vorgesehen. In der engen Abstimmung der beteiligten Länder im Bündnis Zukunft Schiene Nord konnte sie auf 2027 vorgezogen und mit dem Bau der S-Bahn S4 synchronisiert werden.“ Dafür müssen nicht nur die Verkehre zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein enger abgestimmt werden, sondern auch die Auswirkungen auf Bahn- und Busverbindungen zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

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Für die Schienenverkehre im Norden ist Hamburg der größte Engpass. Verspätungen aus der Hansestadt setzen sich im Fernverkehr durch Deutschland fort. Deutschlands zweitgrößte Stadt auf der Bahn durchlässiger zu machen – mit mehr Fernbahn- und S-Bahngleisen, mit einem Ausbau des Hauptbahnhofs und mit einem Verbindungsbahn-Entlastungstunnel unter der Innenstadt hindurch – ist die wohl schwierigste Aufgabe für das Bündnis Zukunft Schiene Nord. „Wenn man eine bessere Bahn will, muss man sie jetzt bauen und generalsanieren. Es gibt dafür keinen anderen Weg“, sagt Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne). „Unser Ziel ist es, Hamburg für den Bahn-Fern- und Regionalverkehr in alle vier Himmelsrichtungen künftig viergleisig anzubinden – und den Engpass Hamburg im Bahnverkehr langfristig aufzulösen.“

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Denn entscheidend dafür, dass Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen, bleibt neben dem Fahrpreis immer auch die Verlässlichkeit der Züge. „Das Pünktlichkeitsniveau, das wir heutzutage haben – zum Beispiel 63 Prozent im Bahn-Fernverkehr – ist noch nicht das Ende der Fahnenstange“, sagt Tjarks.

Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) will die Bahn stärken Quelle: picture alliance/dpa

Die Fernstrecke zwischen Hamburg und Berlin ist eine der am stärksten frequentierten in Deutschland, mit täglich 230 ICE-, Regional- und Güterzügen. Sie muss dringend saniert werden. Von Mitte August bis Mitte Dezember 2024 wird die Strecke abschnittsweise zwischen Wittenberge und Ludwigslust gesperrt, weil die Bahn Weichen, Gleise und Durchlässe erneuert. Die eigentliche Generalsanierung und der Ausbau der Strecke zu einem „Hochleistungskorridor“, wie es die Bahn formuliert, steht dann vom 6. Juni bis zum 13. Dezember 2025 an, verbunden ist das Projekt mit einer kompletten Sperrung.

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Von Hamburg nach Berlin werden die ICE-Züge über die Umleitung via Stendal dann etwa zweieinhalb Stunden unterwegs sein anstatt derzeit etwa eine Stunde und 49 Minuten. Die Vollsperrung für mehrere Monate sei „unter allen denkbaren Varianten die effektivste, um diese Strecke kurzfristig und in modernster Form wieder ans Netz zu bringen“, sagt Frank Limprecht. „So wollen wir gewährleisten, dass es dort für mindestens fünf Jahre keine Baustellen mehr geben wird. Vollsperrungen wie diese sind für uns wie auch für die Bahnkunden eine große Herausforderung.“

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Und es sind nicht nur die Länder, die Verkehrsverbindungen bei der Bahn „bestellen“, es sind nicht nur die Fahrgäste, die schnell von einem Ort zum anderen kommen wollen. Auch Unternehmen setzen die Bahn und die öffentliche Hand unter Druck, leistungsfähige Schienenverkehre zu gewährleisten. Das schwedische Unternehmen Northvolt plant, bei Heide eine Großfabrik zur Fertigung von Antriebsbatterien für Elektroautos zu bauen. Bis zu 3000 Arbeitsplätze könnten dort entstehen – es wäre die größte Industrieansiedlung auf einen Schlag, die es in Schleswig-Holstein je gab, und es wäre die erste High-Tech-Fabrik, die im nördlichsten Bundesland wegen dessen hohem Aufkommen an Ökostrom entstünde.

Noch ist unklar, ob Northvolt seine Fabrik an einem Standort in den USA bauen wird, begleitet von Subventionen, oder ob das Unternehmen tatsächlich nach Schleswig-Holstein kommt. Voraussetzung dafür – und Bedingung von Northvolt – sind auf jeden Fall moderne, leistungsfähige Bahnanbindungen in den Landkreis Dithmarschen, der von seinen Verkehrswegen her tiefste Provinz ist. „Northvolt möchte für seine geplante Batteriefabrik in Heide möglichst den gesamten Batterie- und Gütertransport von und nach Hamburg zuverlässig auf der Schiene befördern“, sagt Limprecht. „Auch die Mitarbeitenden sollen möglichst auf der Schiene von und nach Heide kommen.“

Sanierung einer Bahnstrecke bei der Deutschen Bahn Quelle: Henning Hattendorf

Auch auf der vielbefahrenen ICE-Strecke zwischen Hamburg und Hannover muss die Bahn erhebliche zusätzliche Kapazität schaffen, wenn ein künftiger „Deutschlandtakt“ funktionieren soll. Doch Bügerinitiativen und Teile der Regionalpolitik in Niedersachsen blockieren den Neubau einer zusätzlichen Strecke parallel zur bestehenden Trasse. „Der künftige Deutschlandtakt im Fernverkehr sieht für die Strecke von Hamburg nach Hannover 59 Minuten Fahrzeit vor. Das ist allein mit einer Generalsanierung der heutigen Strecke und einer künftig wesentlich dichteren ICE-Taktung nicht zu schaffen“, sagt Limprecht. „Eine mögliche Neubaustrecke könnte diese Vorgabe erfüllen, sie könnte außerdem die Heide-Region erschließen und zusätzliche Bahnhöfe bringen, wie etwa in Soltau.“ Man diskutiere das weitere Vorgehen intensiv mit dem Bund und dem Land Niedersachsen. Auf jeden Fall, sagt Limprecht, sei auch dies langfristig ein Fall für das Bündnis Zukunft Schiene Nord.

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