Uraufführung: Wirren der Revolution

Stand: 17:10 Uhr Stefan Grund Redakteur Camille (Pauline Rénevier) vor der Front der Spiegel Quelle: Krafft Angerer Beim Versuch, Georg Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ auf die Verhältnisse im Iran zu drehen, überlädt Regisseur Amir Reza Koohestani den Klassiker und löst im Thalia in der Gaußstraße Verwirrung aus. Anzeige Anzeige

Immer wieder fällt mit einem schweren Rauschen bis zum dumpfen Aufschlag die sieben Kilo schwere Klinge der Guillotine und färbt die ganze Wand, die ganze Welt der Enthaupteten rot. Dann fährt sie als schwarzer, schräger Schatten mit einem sanften Knirschen wieder nach oben, bevor sie gnadenlos und unerbittlich erneut fällt. In die ein ums andere Mal exekutierende Hinrichtungsmaschine hinein spricht eine junge Iranerin ihre Lebensgeschichte. Zuvor hat sie Bilder von sich ohne Kopftuch gepostet. Ihr Aufenthaltsort ist unbekannt. Ihre Familie fürchtet, sie könne von der iranischen Sittenpolizei verhaftet worden sein und hofft, sie sei untergetaucht, bevor sie verhaftet werden konnte.

Uraufführung am Jahrestag des Todes von Jina Mahsa Amini

Anzeige

Das Schlussbild der überfrachteten Inszenierung „Dantons Tod Reloaded“ vom iranischen Regisseur Amir Reza Koohestani im Thalia in der Gaußstraße vermischt nicht zufällig Bilder des Stückes von Georg Büchner, der in seiner Tragödie „Dantons Tod“ im deutschen Vormärz vom Terror der französischen Revolution erzählt, mit der Geschichte eines iranischen Schwesternpaares. Die Guillotine fällt hier in Form eines roten Lichts über die ganze Bühnenwand, sie köpft den gesamten Spielort, enthauptet ein ganzes Land. Im fantastischen Bühnenbild von Mitra Nadjmabadi stehen vor der Wand sechs hohe Spiegel, die im Raum bewegt werden können. In ihnen spiegelt sich nicht nur das Publikum, sie dienen auch als Spiegel in der Maske eines Theaters, in dem sechs Schauspieler in Paris „Dantons Tod“ aufführen wollen – unter ihnen die Schwester der unauffindbaren Iranerin, die im Stück Lucile spielen soll. Zudem werden die Flächen der Multifunktionsspiegel als Displays für Schrifteinblendungen und Videoeinspielungen benutzt.

Die Uraufführung des Stückes, das Koohestani und seine Koautorin Mahin Sadri auf Basis von Büchners Klassiker verfasst haben, fand am Jahrestag des Todes von Jina Mahsa Amini statt. Die Iranerin war wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Hidschab-Gesetz, das Frauen das Tragen eines verhüllenden Kopftuches vorschreibt, verhaftet worden. Sie starb am 16. September 2022 in Teheran. Aminis Tod löste bis heute anhaltende Proteste gegen das islamische Regime im Iran aus, die Ziele von der Abschaffung des Hidschab-Gesetzes bis zum Sturz der Islamischen Republik und der Neuerrichtung eines säkularen Staates verfolgen. Auf Demonstrationen mit Tausenden von Menschen nach dem Tod Aminis folgen bis heute Protestaktionen wie ziviler Ungehorsam, Straßenkämpfe und eine permanente Berichterstattung über das Unrechtsregime.

Streik und sexuelle Übergriffe überfrachten das Drama

Anzeige

Auch in Hamburg – wo die größte persische Exilgemeinde Europas lebt – und anderen deutschen Städten gab es Solidaritätsdemonstrationen mit den verfolgten Frauen im Iran. Koohestani beschwört nun mit der Geschichte Büchners, in welcher der Revolutionsführer Danton nach einem Urteil des Revolutionstribunals geköpft wird, die Wirren der islamischen Revolution und die Wirren der Gegenrevolution. Zudem herrscht in der Schauspieltruppe selbst ein Klima der Angst, neigt doch der Danton-Darsteller (Stefan Stern) zu sexistischen Übergriffen. Der Robespierre-Darsteller (Oliver Mallison) wiederum ist der Vater der Darstellerin des Robespierre-Verräters Camille (Pauline Rénevier), die mit ihrem Kollegen Danton eine Affäre hat. Der blutdürstige St. Just wird straight von Toini Ruhnke verkörpert. Neda Rahmanian spielt Lucile, ihre Schwester in Teheran wird im Video von Co-Autorin Mahin Sadri gespielt.

Doch mit der revolutionären Stimmung in der gespielten Schauspieltruppe nicht genug, auch an ihrem Arbeitsplatz herrscht Unruhe. Das Personal streikt für höhere Löhne und verhindert die meisten der geplanten Aufführungen. Zudem soll einer der Schauspieler entlassen werden. Solidarität wird eingefordert, Intrigen werden gesponnen. Die Verwirrung ist perfekt. Leider nicht nur bei den Darstellern, sondern auch im Publikum. Denn Koheestani überlädt Büchner beim Reloaden. So fällt es nicht nur schwer, die verschiedenen Fäden der Handlung im Blick zu behalten, sondern auch Büchner und seine Figuren leiden, je mehr Text guillotiniert wird.

Reloaded stirbt selbst der unsterbliche Tod Dantons

Weitere Schwächen der Inszenierung: Sie war nicht fertig geprobt, der Text saß bei den meisten Darstellern noch nicht richtig. Zudem wäre Oliver Mallison ohne Frage der bessere Danton gewesen, Stern wirkte einigermaßen angespannt und überfordert, was wiederum ganz gut zu Robespierre gepasst hätte. Allerdings hatten die Darsteller ohnehin keine echte Chance, denn reloaded stirbt selbst der unsterbliche Tod Dantons.

This entry was posted in Uncategorized. Bookmark the permalink.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *