Bücherhallen-Bilanz: „Die Scheibe stirbt“

Stand: 18:18 Uhr Stefan Grund Redakteur Frauke Untiedt, Direktorin der Bücherhallen Quelle: Bertold Fabricius/Pressebild.de Frauke Untiedt, Direktorin der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen, beschreibt einen klaren Aufwärtstrend bei den Besucherzahlen nach Corona. Elektronische Medien erstmals wichtiger als DVDs und CDs. Anzeige Anzeige

Die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB) gedeihen. Direktorin Frauke Untiedt stellte im Jahresbericht die Bilanz zu den aktuellen Entwicklungen im vergangenen Jahr vor und skizzierte die jüngsten Pläne der Einrichtung, die neben der Zentralbibliothek am Hühnerposten 32 Stadtteilbibliotheken und zwei Bücherbusse betreibt. Trotz coronabedingter Einschränkungen bis Ende März verzeichneten die HÖB im Jahr 2022 insgesamt 3,3 Millionen Besuche. Damit hat die Zahl der Nutzer noch nicht wieder den Stand vor Corona (mehr als fünf Millionen Besuche) erreicht. Die Zahl der Leser mit aktiver Bücherhallen-Karte hat allerdings einen neuen Rekordstand erreicht und liegt bei knapp 228.000. Untiedt spricht mit Blick auf die Besuche von einem „klaren Aufwärtstrend“. Die meisten Besucher kamen, um Medien zu entleihen (11,4 Millionen Ausleihen), um zu lernen oder eine der 16.800 angebotenen Veranstaltungen zu besuchen.

Hoffnung auf schnelle Standortentscheidung für „Haus der digitalen Welt“

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Nach ihrer Einschätzung, so Untiedt, werden die Stadtteilbibliotheken als Treffpunkte im Stadtteil, als Begegnungs- und Lernorte immer wichtiger. Zahlen aus einer aktuellen Nutzerbefragung bestätigen den Trend. Kamen 2014 noch 10 Prozent zum Lernen, sind es aktuell bereits 26 Prozent aller Nutzer. Die Zentralbibliothek soll nach dessen Fertigstellung in das von der Stadt geplante „Haus der digitalen Welt“ (WELT berichtete) einziehen. Derzeit läuft die Suche nach einem Standort in der Innenstadt. Untiedt würde eine Standort-Entscheidung im laufenden Jahr begrüßen.

Die Bücherhallen erwirtschafteten als gemeinnützige Stiftung 17 Prozent ihres Budgets von knapp 40 Millionen Euro selbst, den Löwenanteil des Betriebs finanziert die Stadt Hamburg. Weitere Ergebnisse der Befragung: Der überwiegende Teil der Besucher (88 Prozent) kommt nach wie vor, um Bücher und andere Medien zu entleihen, rund ein Viertel, um Medien vor Ort zu nutzen. Veranstaltungen bieten mit rund 20 Prozent einen weiteren wesentlichen Anlass zum Besuch. Zudem wird das Angebot, allein oder in Gruppen in den Räumen der Bücherhallen zu lernen, rege genutzt. Besonders hoch ist hier der Anteil von Schülern und von Nutzern mit Migrationsgeschichte. Hemmschwellen beim Besuch der HÖB gibt es kaum, ganz im Sinne des 2022 verabschiedeten Leitbildes, nach dem alle Menschen in den Bibliotheken willkommen sind.

Aufenthaltsqualität hoch, Ordnungssystem mit Luft nach oben

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Das Angebot an Medien, die jährlich für 3,5 Millionen Euro angeschafft und erneuert werden, verlagert sich zunehmend auch in den Bereich elektronischer Formate. Erstmals bewerteten die Nutzer das digitale Angebot mit 37 Prozent als das wichtigste nach dem Buch. Dabei geht der Trend bei CDs und DVDs zugunsten von E-Medien zurück. Untiedt: „Man kann sagen, die Scheibe stirbt.“ Die Zufriedenheit der Gäste mit der Aufenthaltsqualität liegt bei zwei Dritteln, das streckenweise kryptische Ordnungssystem der Bücherhallen ist nicht ganz so beliebt. „Da können wir noch dran arbeiten“, so Untiedt selbstkritisch.

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Die Direktorin der Bücherhallen ist stolz auf die hohe Akzeptanz der Besucher in den Stadtteilen, wo die Bibliotheken eine wichtige Informations- und soziale Funktion erfüllen. Über 80 Prozent der Nutzer sind der Überzeugung, dass die Bücherhalle für den Stadtteil wichtig ist. Die Struktur der Besucher ist nach früheren Untersuchungen durch einen hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen geprägt, der bei rund 40 Prozent liegt. Im Schnitt sind die Nutzer etwa 30 Jahre alt, der Anteil weiblicher und gut gebildeter Besucher (Abitur, Hochschulabschluss) liegt bei je gut zwei Dritteln.

Bibliotheken in fünf Stadtteilen renoviert

Im vergangenen Jahr wurde das Programm zur Erneuerung von Stadtteilbibliotheken weitgehend abgeschlossen, für das die HÖB knapp drei Millionen Euro aus dem Sanierungsfonds 2020 der Bürgerschaft erhalten hatte und zu dem sie gut 300.000 Euro aus Eigenmitteln beisteuerte. Die Gelder dienten der Steigerung der Aufenthaltsqualität und der Einrichtung von Gruppenräumen. Renoviert wiedereröffnet wurden die Bücherhallen Langenhorn, Kirchdorf, Eidelstedt (im steeedt), Bramfeld und in Bergedorf (im Körberhaus).

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Die Modernisierung der Bücherhalle Mümmelmannsberg konnte nicht realisiert werden, weil kein passender Ort gefunden wurde. Stattdessen wurde die HÖB am Osdorfer Born erneuert. Ein wesentlicher Schritt zur Modernisierung des Angebots war zuletzt die Einführung des Open-Library-Prinzips unter dem Namen „FlexiBib“, das den Zugang per Benutzerkarte zu erheblich erweiterten Öffnungszeiten möglich macht – auch ohne Bibliothekspersonal vor Ort, denn, so Untiedt, „die Personalressourcen sind endlich. Sie werden eher abschmelzen als aufwachsen.“ Mittlerweile nehmen 23 Bibliotheken am „FlexiBib“-Programm teil, mit täglichen Öffnungszeiten von 7 bis 22 Uhr. Damit bekommen Berufstätige einen besseren Zugang zum Medienangebot.

Öffnungszeiten mit „FlexiBib“ deutlich erweitert

Die Bücherhallen wollen damit den Umfang der Öffnungszeiten vom Ausgangswert aus dem Jahr 2017 bis zum Jahr 2026 um rund 200 Prozent auf mehr als 150.000 Stunden steigern, während die Zahl der sogenannten Servicestunden, also Betrieb mit fachkundigem Personal, bei gut 54.000 Stunden pro Jahr konstant bleibt. Der Anteil der FlexiBib-Besucher in den Randzeiten ist in den Bibliotheken je nach Stadtteil sehr unterschiedlich. Während er in Winterhude und den Elbvororten bei rund zehn Prozent liegt, beträgt er in Langenhorn rund 20 Prozent und in den Orten der Spitzennutzung wie Dehnheide, Schnelsen und Finkenwerder mehr als 40 Prozent.

Aktuell arbeitet die Leitung der Bücherhallen daran, eine Bücherhallen-Karte für Menschen ohne festen Wohnsitz zu ermöglichen. Hier sollen mögliche Ausfälle bei der Medienrückgabe durch eine Bürgschaft abgesichert werden, bevor das Programm startet. Wohnungslose nutzen das Angebot an Computerarbeitsplätzen und Druckern häufig, um Anträge für Behörden auszufüllen und Bewerbungen für Wohnungen zu erstellen.

Größere Flächen bei Standortwechsel angestrebt, auch für die Zentralbibliothek

Zudem ist für den Sommer 2023 der Umzug der Bücherhalle Hohenhorst in die Jenfelder Au vorgesehen. Neue Standorte sollen, so die Direktorin, nicht mehr kleiner sein als 350 Quadratmeter, um eine gute Aufenthaltsqualität und angemessene Lernraumgrößen zu gewährleisten. Mit dem Einzug in Community-Center wie das Körber-Haus in Bergedorf hat die HÖB gute Erfahrungen gemacht. Untiedt: „Die Bibliothek im Körber-Haus ist der Renner. Und wir würden gern auch mit der Zentralbibliothek am Hühnerposten wachsen.“ Auch eine mögliche Zusammenarbeit mit Museen wie beispielsweise dem benachbarten Museum für Kunst und Gewerbe in fernerer Zukunft kann sich die Direktorin der HÖB gut vorstellen. „Wenn sich das konkret anbietet, wären wir gern dabei“, sagt Untiedt, „wir sind durchaus WG-erfahren und die Besuchergruppen mit ihren jeweiligen biografischen Schwerpunkten würden voneinander profitieren. Aber wenn ich das Geld für ein, zwei neue Standorte in der Stadt hätte, würden mir erst einmal andere Standorte einfallen.“

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