Verfilmung des ersten Romans von Habeck und seiner Frau Andrea Paluch

Stand: 07:39 Uhr Alte Bekannte: Iven (Anton Spieker, l.) und Wienke (Philine Schmölzer, Mitte) treffen auf Ann-Grethe (Janina Stoppe) Alte Bekannte: Iven (Anton Spieker, l.) und Wienke (Philine Schmölzer, Mitte) treffen auf Ann-Grethe (Janina Stoppe) Quelle: ARD Degeto/ Nordfilm GmbH/ Christi Vor mehr als 20 Jahren haben Andrea Paluch und ihr Mann, der heutige Vizekanzler Robert Habeck, mit „Hauke Haiens Tod“ ihren ersten Roman geschrieben. Nun kommt er als bildgewaltiges Familiendrama ins Fernsehen. Das einstige Autorenpaar führt darin Storms „Schimmelreiter“ fort. Anzeige Anzeige

Bedrohlich ziehen Wolken über den Himmel, die Wellen peitschen an Strände und Kaimauern, es stürmt, Nachrichtenstimmen schallen aus dem Off, unterstrichen von Geigenklängen. Und dann taucht er auch schon auf: der weiße Schimmel, galoppierend über den Deich, gelenkt von einer Gestalt in dunklem Gewand.

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Es braucht kein Literaturstudium, um da unweigerlich an Theodor Storms „Schimmelreiter“ zu denken. Der lieferte tatsächlich die Grundmotive zu dem Film „Die Flut – Tod am Deich“, den die ARD am 27. April (20.15 Uhr) ausstrahlt. Oder vielmehr lieferte Storms berühmte Deich-Novelle die Inspiration zu dem Roman „Hauke Haiens Tod“, auf dem der Film basiert. Vor mehr als 20 Jahren erschien dieser Roman, geschrieben von Andrea Paluch und ihrem Mann Robert Habeck, dem damaligen Nachwuchs-Politiker und heutigen Bundeswirtschaftsminister der Grünen. Es war ihr literarisches Debüt.

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„Wir hatten damals ja schon häufig gemeinsam englische Lyrik ins Deutsche übersetzt“, erzählt Andrea Paluch im Gespräch mit WELT AM SONNTAG. Irgendwann sei die Idee zu einem Roman entstanden, einem Roman, der sich auf einen Klassiker bezieht. Intertextualität lautet der Fachbegriff, in der angelsächsischen Literatur mit großer Tradition, in der deutschen aber nicht gleichermaßen ausgeprägt.

Die Autorin Andrea Paluch schreibt inzwischen ohne ihren Mann Robert Habeck Romane Quelle: laif Anzeige

Also begann das Paar, Klassiker der deutschen Literatur zu durchstöbern, und las sich bei Storm fest. „Er hat sich geradezu aufgedrängt, weil es so viele offene Enden gibt, die aus unserer Sicht unbedingt weitererzählt werden mussten“, sagt die 53 Jahre alte Autorin.

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Eines dieser offenen Enden bei Storm war für Paluch und Habeck, dass sich nicht nur Deichgraf Hauke Haien opfert und in die Fluten stürzt, sondern auch seine Frau mit dem Kind. „Uns schien das völlig unplausibel, dass Eltern ihr Kind mit in den Tod nehmen, vielleicht auch, weil wir gerade selbst junge Eltern waren“, sagt Paluch, die mit Habeck vier inzwischen erwachsene Söhne hat.

Eine Autistin und ein abgebrannter Türsteher

Also ließ das Autorenpaar das Kind überleben. Diese Wendung ist der Kern ihres Romans und auch der ARD-Verfilmung. Das Mädchen Wienke versucht als junge Frau herauszufinden, wo sie herkommt.

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Philine Schmölzer spielt die erwachsene Wienke, der einstige Ziehsohn und Knecht Iven (Anton Spieker) hat sie damals gerettet und nach Hamburg gebracht. Dort lebt sie in einer Einrichtung für Menschen mit geistigen Entwicklungsstörungen. Wienke leidet an einer sogenannten Spektrum-Störung, einer Form des Autismus. Iven schlägt sich als Türsteher und Aufpasser auf dem Kiez herum.

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Eines Tages erkennt Wienke Iven in einem Nachrichtenbeitrag, sucht und findet ihn und überredet ihn, sie in ihr Heimatdorf an der Nordsee zu begleiten. Gegen Geld, denn das braucht Iven dringend.

Iven und Wienke, sie sind beide verlorene Seele, auf der Suche nach der eigenen Identität, der Herkunft, ihrem Platz. Für Paluch sind das die zentralen Themen ihres Romans und auch des Films. „Unsere zentrale Frage war, ob es wichtig ist zu wissen, wo man herkommt, um Verantwortung zu übernehmen. Und was verändert es, wo man herkommt, und welche Kriterien müssen erfüllt werden, damit man Verantwortung übernimmt“, sagt die Autorin.

Es geht um Verantwortung

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Um Verantwortung geht es auch viel in dem Film, die Verantwortung, die Deichgraf Hauke Haien (gewohnt lakonisch gespielt von Detlev Buck) für das Land, den Deich übernimmt, aber auch für sein eigenes, sehr individuelles Handeln. Haukes Frau Elke (Franziska Weisz), die ihren Mann in der Nacht der Sturmflut nicht allein lassen will und schließlich mit ihm stirbt. Oder der einstige Bürgermeister Ole Peters (Sascha Geršak), der nun den Hof der Haiens bewohnt. Auch seine Tochter Ann-Grethe (Janina Stopper), die sich schnell als die Schimmelreiterin entpuppt, hat Schuld auf sich geladen, für die sie nun Verantwortung übernehmen muss.

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Regisseur Andreas Prochaska hat ein stimmungsvolles, bildgewaltiges Drama geschaffen, erzählt in Rückblenden von der Sturmflut, als Wienke klein war, von den Streitigkeiten und Liebschaften damals. Philine Schmölzer gibt diese Wienke immer etwas irre und doch selbstbewusst und zielstrebig, verleiht der Figur mit ihrer naiven, unbeeindruckten Sachlichkeit eine enorme Kraft und offenbart zugleich ihre ganze Verletzlichkeit. „Ich weiß nicht, wie es ist, wenn mich einer lieb hat“, sagt sie einmal zu Iven. Der gibt den Gegenpol und öffnet sich nach und nach doch seiner Geschichte und der Vergangenheit. Bemerkenswert auch, dass das Autorenduo Daniela Baumgärtl und Constantin Lieb auch immer wieder für leichtere Momente sorgen. „Früher warst du stumm, das war mir lieber“, raunzt Iven die mit Fragen nervende Wienke an.

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Felix Novo de Oliveira fängt mit seiner Kamera den Widerstreit zwischen Mensch und Natur, von Fortschritt und Mythos eindrücklich ein. Die Bedrohung ist allgegenwärtig, die der Natur und die der Menschen. „Die Flut“ ist ein Mysterydrama, weil die Menschen noch immer tief mit dem Aberglauben verwoben sind, aber auch eine Coming-of-Age-Geschichte, ein Umweltthriller und ein Krimi.

Lust auf Storms „Schimmelreiter“ wecken

Letzteres bringt Andreas Paluch immer wieder zum Schmunzeln: „Schon bei Erscheinen des Romans haben viele Buchhandlungen ihn in der Krimi-Ecke einsortiert, das hat uns sehr überrascht.“ Und doch nimmt sie es pragmatisch: „Uns war wichtig, dass der Roman auch ohne Kenntnisse über den ‚Schimmelreiter‘ funktioniert, gleichzeitig aber vielleicht auch nochmal Lust auf Storms Novelle macht“, sagt sie.

Es scheint zu funktionieren, auch der Roman selbst erlebt so etwas wie ein zweites Leben, 2023 hat der Verlag Kiepenheuer und Witsch ihn neu herausgegeben. „Ich glaube, das Buch ist einfach gut gealtert“, sagt Paluch. Das liegt nicht nur an den vielen und zentralen Themen, sondern wohl auch an der Klimathematik. „Schon mal was von Klimawandel gehört“, schnoddert Detlev Buck als Hauke seinen Widersacher an, als er ihn für seine neue Deichbautechnik gewinnen will.

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Vielleicht ist es auch ein bisschen das Interesse an einer der früheren Karrieren des Robert Habeck. Seine Frau hält sich im Hintergrund, macht den „Joachim Sauer“, wie sie mal in Anspielung auf den Ehemann von Angela Merkel, der wenig in der Öffentlichkeit auftrat, gesagt hat. Und doch wird auch Paluch in Sippenhaft mit ihrem Mann, den Grünen allgemein genommen.

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Im vergangenen Jahr ergoss sich ein Shitstorm über sie – wegen eines Kinderbuches mit dem Titel „Die besten Weltuntergänge“. Die Minister-Gattin mache den Kindern mit ihren Dystopien Angst, ganz in Grünen Manier, lautete der Vorwurf meist von weit Rechts. Paluch ist von so etwas einfach nur „genervt“ und hatte die Anschuldigungen erst mitbekommen, als der Verlag sie darauf aufmerksam machte. Sollte es ähnliche Reaktionen nach der Film-Ausstrahlung geben, sieht sie sich jedenfalls gewappnet.

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