Premiere: Das Stück zum Ende der Welt

Stand: 13:14 Uhr Stefan Grund Redakteur Familie Wegrat (v.l.): Ulrike Knospe, Stephan Benson, Lennart Hillmann, Linda Stockfleth hat Besuch von Autor von Sala (Dirk Ossig, 2.v.r.) Quelle: Oliver Fantitsch Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen. Podcast freigeben Vorher noch ins Ernst Deutsch Theater: „Der einsame Weg“ von Arthur Schnitzler wird mit einem glänzenden Ensemble um Stephan Besson, Dirk Ossig, Katharina Abt und Christian Nickel in der Regie von Antoine Uitdehaag zum Ereignis. Anzeige Anzeige

Das Bühnenbild (Tom Schenk) nimmt das Publikum – vom ersten Bild an – mit und gefangen: Auf gestaffelten Gemälde-Tafeln zeigt es den Herbst in einem Birkenwald, der optischen Fortsetzung eines gedachten Gartens mit ein paar realen Klappstühlen. Erika Landertinger hat die Kostüme dazu entworfen, die den Charakter der Figuren unterstreichen. Vor und auf den Klappstühlen tanzt und turnt zu Beginn eine junge Frau, Johanna Wegrat (Linda Stockfleth). Ihre schwerkranke Mutter Gabriele (Ulrike Knospe) wird bald sterben, und ihr fällt die aus ihrer Sicht undankbare Aufgabe zu, sich um sie zu kümmern. Lebenslustig will sie hinaus ins Leben – wohin auch immer ihr Weg sie führt.

Die „Melancholödie“ zum Tode

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Johannas Bruder Felix (Lennart Hillmann) ist immer wieder auf Stippvisite zu Hause, bekommt Kurzurlaub vom Militär. Der Vater der beiden, Professor an der Akademie (Stephan Benson), ist seiner Familie und seinen Freunden herzlich zugewandt. Er weiß nicht, dass sein Sohn in Wahrheit der Sohn seines Studienfreundes, des verkrachten Malers Julian Fichtner (Christian Nickel) ist. Johanna schwärmt für den deutlich älteren, verwitweten Autor Stephan von Sala (Dirk Ossig), Freund des Hauses. Der wie Gabriele auf den Tod erkrankte von Sala wird bei Ossig zu einem abgründigen Zyniker. Der Gabriele betreuende Doktor (Oliver Warsitz) hat auch von Salas Leiden diagnostiziert.

Schauspielerin Irene (Katharina Abt) liebt ihren verflossenen Julian (Christian Nickel) noch immer Quelle: Oliver Fantitsch

Nickel sieht sich mit den Vorwürfen seiner ihn immer noch liebenden Ex, der quirligen Schauspielerin Irene (Katharina Abt) konfrontiert, als er ihr gesteht, dass er einen Sohn hat. Sie leidet, seit er sie vor 24 Jahren für Gabriele verließ, unter ihrer Kinderlosigkeit. Von Sala und Irene sind einander herzlich abgeneigt, seit sie in einem seiner Theaterstücke spielte. Sie hält ihn als Autor für so miserabel wie er sie als Darstellerin. Die Abneigung der beiden erheitert und garniert das große Bild in dieser „Melanchödie“ (Schnitzler), die das ganze Drama des sterblichen Menschen umfasst, dem als Gegenpol zur Krankheit zum Tode als schwacher Trost die Liebe bleibt.

Das Fin de Siècle wird zum Fin des Temps

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Uitdehaag arbeitet das stark heraus, indem er das Stück und seine Darsteller ernst nimmt: Jeder spielt immerzu Theater, ob nun auf der Bühne oder im Alltag. Dabei kennt laut Schnitzler „niemand den anderen, niemand sich selbst.“ So geht in diesem Drama jeder seinen „einsamen Weg“. Von Sala will sich einer lebensgefährlichen Expedition nach Asien anschließen und überredet Felix so egozentrisch wie leichtfertig, sich ihm anzuschließen. Er hat leichtes Spiel, nachdem sich dieser mit seinem wahren Vater konfrontiert sieht. Gabriele stirbt, bevor es zu einem Wiedersehen mit Julian kommt. Als der todessüchtige Autor auch noch Johanna anbietet, sie zu heiraten und mitzunehmen, ertränkt sie sich im Teich. Muss sie doch erkennen, dass ihr – durch von Salsa restlos überfordert – sonst nichts bliebe, als nach der Mutter auch noch den Vater bis zu seinem Ende zu betreuen.

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Mit seiner undiplomatischen Art sorgt Ossig für einige heitere Elemente in dieser Tragödie, die in Uitdehaags leicht gekürzter, knapp dreistündigen Fassung berührt, als wäre sie nicht von 120 Jahren, sondern kürzlich geschrieben. Der Regisseur lotet die Untiefen der Seele intensiv aus und macht die Handlung vor der Kulisse des aktuell zum Fin des temps gesteigerten Fin de siècle lebendig. Er setzt dabei wie sein Bühnenbildner auf die Fantasie der Zuschauer. Schließlich gingen nach einem Bonmot des amerikanischen Mathematikers und Folksängers Tom Lehrer im III. Weltkrieg gleichzeitig „alle gemeinsam“ den einsamen Weg zu Ende.

Dirk Ossig glänzt als zynischer Verführer

Schenks Bühnenelemente symbolisieren im weiteren Verlauf, mal mit den Rückseiten zum Publikum gedreht und durch frei stehende Türen als Bühnenelemente ergänzt, zum Schluss durch abstraktere Landschaften ersetzt: das Schicksal, dem niemand entrinnt. Und bei den Auf- und Abgängen, bei denen die Schauspieler kurz sichtbar bleiben: Den anderen, den niemand ganz kennt. Ein stummes Bild das sich einbrennt: Vor einem großen, dunklen Gemälde von einem Teich liegt Johanna, allen anderen nur ein Stück voraus auf ihrem einsamen Weg. Und stellvertretend für die Jungen, die immer die höchsten Kosten für alles tragen, was falsch läuft in der Welt.

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Stephan Benson schreitet als Professor Wegrat gemessen durch seine Rolle als guter Mann von nebenan. Ihn Schnitzlers Sätze sprechen zu hören, ist eine Wonne. Christian Nickel irrt als innerlich Zerrissener glaubhaft in Anflügen von Trotz und Verzweiflung durch das Schicksal des Malers ohne Erfolge, der tapfer versucht, seine frühe Entscheidung für ein Leben ohne Familie zu rechtfertigen. Gleichzeitig hätte er so gern den Sohn, den er nie hatte. Ossig macht seine Sache als zynischer Verführer furchterregend gut. Katharina Abt tanzt durch ihre Rolle. Oliver Warsitz ist ganz der mitfühlende, ohnmächtige Doktor und Ulrike Knospe spricht Schnitzler an der Seite Bessons prächtig. Lennart Hillmann wirkt als Felix noch etwas zu lapidar unfähig auf seiner Suche nach sich selbst, macht aber insgesamt eine gute wankelmütige Figur. Das gilt auch für Linda Stockfleth, die eine größere Aufgabe zu bewältigen hat. Obwohl sie aus Hamburg stammt, sollte sie den einzelnen Silben in Schnitzlers Worten etwas mehr Beachtung schenken. Und Johannas Schwanken zwischen Dulden und Rebellieren ist eine Aufgabe, an der sich wachsen lässt.

Termine: bis 31. Mai

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